Bratislava
Ein einziger Punkt stand auf meiner MUST-SEE-Liste schon bevor ich nach Bratislava gefahren bin. Ich meine, neben dem Wiedersehen mit Tereza, das mich ja überhaupt in diese Stadt geführt hat. Das einzige, was ich vor Reiseantritt gemacht habe, war, den Wikipediaeintrag über Bratislava zu lesen. Der ist recht ausführlich, und ehrlich gesagt habe ich einiges nur überflogen, ABER da stand doch tatsächlich in einem knappen Satz: Im 1781 erbauten Primatialpalais (Primaciálny palác), dem heutigen Sitz des Bürgermeisters, wurde 1805 der vierte Frieden von Pressburg unterzeichnet. In der dortigen Galerie sind unter anderem sechs englische Gobelins aus dem 17. Jahrhundert ausgestellt, die die Geschichte von Hero und Leander aus der griechischen Mythologie erzählen.
VI. Die Gobelins im Primatialpalais
1903 wurde das Palais vom Erzbischof an die Stadt verkauft. Bei den Sanierungsarbeiten entdeckte man eine bis dahin unbekannten Serie von sechs Gobelins aus dem 17. Jahrhundert. Sie basieren auf den Entwürfen des aus Rostock stammenden Malers Franz Cleyn und erzählen die Geschichte von Hero und Leander.
Cleyn kam 1599 an den Hof König Christians IV. von Dänemark in Kopenhagen. 1611 wurde er zum Hofmaler ernannt. 1617 erhielt er das Bürgerrecht von Kopenhagen. 1624, ausgestattet mit Empfehlungsschreiben von Sir Robert Anstruther, außerordentlicher Botschafter Englands am dänischen Hof sowie von Sir Henry Wotton, dem damaligen englischen Botschafter in der Republik Venedig, nach England zu Charles, zu der Zeit Prinz von Wales. Da dieser außer Landes war, wurde er von James I. empfangen. Dieser sah in ihm genau den Mann, den er für die neue Wandteppichmanufaktur benötigte, die er unter Sir Francis Crane in Mortlake bei London hatte einrichten lassen, die Mortlake Tapestry Works. Da Cleyn zur Beendigung einiger Arbeiten nach Dänemark zurück musste, James I. ihn aber unbedingt nach England holen wollte, schrieb er persönlich an den dänischen König und bat um dessen Freigabe. Der Antrag wurde bewilligt, und Cleyn kehrte nach England zurück und trat in den Dienst von Prinz Charles. Er wurde sofort in Mortlake angestellt.
Die Tapisserien und anderen Produktionen der Manufaktur Mortlake wurden vor allem in Frankreich hoch geschätzt und über den Kontinent verteilt.Wie damals durchaus üblich, wurden bestimmte Vorlagen mehrmals gewebt, mal etwas größer oder kleiner, weil sie an die Wünsche der Auftraggeber angepasst wurden, denn sie wurden immer zusammen mit den Räumlichkeiten gedacht, die sie schmücken sollten. Heute gibt es vollständige Serien in Liverpool, in der Sammlung des Schwedischen Königshauses in Drottningholm, in der Nähe von Stockholm und eben in Bratislava.
Wie genau die Serie der sechs Tapisserien nach Bratislava gekommen ist, weiss man bis heute nicht. Sie haben überlebt, das ist das wichtigste. Und sie werden gezeigt, im heutigen Rathaus. Und sie weisen eine Besonderheit auf: es sind sechs Gobelins, wobei der sechste einem Ausschnitt aus dem fünften zeigt: den traurigen Eros mit zerbrochenem Bogen, der im fünften Gobelin eher am Rande der Bildkomposition auftaucht und im sechsten noch einmal in den Mittelpunkt gerückt wird.
Hero und Leander
Gobelins wurden oft als Bildergeschichten konzipiert und erzählen von Schlachten, stellen biblischen Geschehnissen und Gleichnissen dar, oder, wie hier, eine Geschichte aus der griechischen Mythologie.
Der Sage zufolge war Hero eine Priesterin der Aphrodite in Sestos am westlichen Ufer der Meerenge Hellespont. Ihr Geliebter Leander lebte in Abydos am gegenüberliegenden kleinasiatischen Ufer. Da er Hero nur heimlich besuchen konnte, durchschwamm er allnächtlich den Hellespont. Ein Leuchtfeuer, das Hero in einem Turm entzündete, oder eine von ihr dort verwendete Öllampe oder Fackel wies ihm den Weg. Einmal verirrte er sich jedoch bei einem Sturm, der das Feuer auslöschte, und ertrank. Am folgenden Morgen entdeckte Hero seinen angeschwemmten Leichnam am Ufer und stürzte sich vom Turm in den Tod.
1
Unerfahren in der Liebe, bat Hero ihre göttliche Herrin darum, möglichst lange ein jungfräuliches Leben führen zu dürfen. Doch als eines Tages der schöne Held Leander in Sestos auftaucht ist wenig später um beide geschehen. Der Pfeil sitzt. Sie verlieben sich heftig ineinander.
2
Als Priesterin ist Hero nicht frei in den Entscheidungen ihres Herzens. Auch sind die beiden sich sicher, dass ihre Eltern die Verbindung zwischen ihnen nicht gutheißen würden. Deshalb halten sie ihre Liebe geheim.
3
Leander wohnt in Abydos, einem auf der anderen Seite des Hellesponts gelegenen Ort. Um zu Hero zu gelangen, muss er nachts die Meerenge durchschwimmen. Damit er den Weg zu ihr finden kann, zündet Hero jeden Abend eine Lampe an. Sie wird zum Sinnbild ihrer Liebe. Ihr schwaches Licht allein schon spornte Leander an, die Strecke durch die Meerenge zu bewältigen.
4
Obwohl beiden die Gefahr bewusst ist, dass die Lampe bei stürmischem Wetter gelöscht werden könnte, läßt Hero eines Nachts voller Sehnsucht nach ihrem Geliebten die notwendige Vorsicht außer acht.Hier sieht man Eros mit dem leitenden Licht und im Hintergrund erahnt man schon, was sich da zusammenbraut.
5
So geschieht es, dass ein Sturm das Licht ausbläst. Leander verliert die Orientierung und ertrink im Meer. Als anderntags seine Leiche ans Gestade von Sestos gespült wird, stürzt sich Hero in Trauer und Schmerz von einem Turm und folgt ihm in den Tod.
Gemälde Hero und Leander von Domenico Fetti – 1. Kunsthistorisches Museum Wien, Bilddatenbank.2. gallerix.ru, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5224487
6
Die Serie in Bratislava endet mit der Darstellung der verzweifelten Hero und des traurigen Eros. Ihr Freitod hätte das Motiv des sechsten Gobelins sein können. Doch das war wohl dann doch zu heftig, oder die Wand war zu klein….
Hier ein Link zur Gobelinmanufaktur in Bratislava. Ich habe sie leider nicht besuchen können. Vielleicht beim nächsten Mal.
Und noch ein kleines Anhängsel zum Thema unglückliche Liebespaare: Ins deutsche Liedgut hat diese tragisch-schöne Sage mit den Strophen „Es waren zwei Königskinder“ Eingang gefunden.
Rudolf Schock, René Kollo…. im Internet gibt es die verschiedensten Versionen, gesprochen, gesungen, einzeln und im Chor….. wir haben die Balladen für Kinder von Lutz Görner immer gerne gehört, als die Kinder noch klein waren. Hier seine Version dieses deutschen Volksliedes: