Immer an der Neiße lang
Zwei Tage habe ich mir Zeit genommen, um an der Neiße entlang zu wandern. Diesem Fluß, der so lange eine ernste, im Sinne von tatsächlich trennende, Grenze war; der jetzt eine geographische Begebenheit ist, die beim Wandern kaum merklich überschritten werden kann und im Alltag wenn, dann auf administrativer Ebene, Hürden mit sich bringt; und der irgendwann in der Zukunft, wenn die Europäische Gemeinschaft oder wie auch immer sie sich nennen mag, oder wir sie nennen mögen, noch enger zusammengerückt ist, auch auf der gesellschafts- und sozialpolitischen Ebene, vielleicht selbst das nicht mehr sein wird.
Tag 1 _ Richtung Dreiländereck
Der Weg beginnt für mich mit einer kurzen Wartezeit an der Brücke über die Mandau, die sich Fußgänger, Autofahrer und die Schmalspureisenbahn teilen. Von dort geht es schnell bis an den ehemaligen Grenzübergang. Mein Weg wird mich auf der polnischen Seite bis zum Dreiländereck führen, denn von der deutschen Seite aus kann man dieses Eck nur sehen, nicht begehen, außer man stiefelt durch die nicht sehr tiefe Neisse auf die andere Seite.
Bis um Dreiländereck ist es ein bewachsener Fußweg. Daran schliesst sich ein gut ausgebauter asphaltierter Weg an, der für Radfahrer wunderbar, für Wanderer eher etwas langweilig ist, denn wir mögen es ja schon, wenn wir ab und an eine Unebenheit unter unseren Sohlen spüren.
Direkt am Dreiländereck gibt es auf tschechischer Seite ein sehr schönes kleines Sumpfgebiet, das mit Holzstegen für den Fußgänger zugänglich gemacht wurde. Nach der langen Zeit, die der Natur inzwischen zur Verfügung gestanden hat, ist kaum noch zu merken, das all dies einmal Braunkohleabbaugebiet war. Auch am Kristýna-Badesee sieht alles so aus, als wenn es immer schon so gewesen wäre.
Ein wenig weiter Richtung Süden gibt es einen Übergang über die Neiße. Kurz darauf kommt der ehemalige Grenzübergang Hrádek-Hartau.
Auf dieser Seite verlaufen eigentlich die Wander- und Radwege, gut gekennzeichnet, gut ausgebaut.
Auf dem Rückweg habe ich eine Kneipp-Station am Dreiländereck eingelegt und meine Füße waren dankbar für das kühlende Streicheln des Neißewassers. Es ist hier wirklich nicht sehr tief. Zumindest im Normalfall. An vielen Orten haben mich die Inschriften an die Flutkatastrophe im August 2010 erinnert.
Das Ende meines ersten Neiße-Wandertags war die Mündung der Mandau in die Neiße.
Tag 2 _ Richtung Marienthal
Mein zweiter Wandertag an der Neiße begann mit einer Zugfahrt. Ich hatte nicht ganz so viel Zeit und daher war es ganz gut zu wissen, dass ich bestimmte Abschnitte der Strecke fahrend zurücklegen konnte.
Also ging es erst einmal nach Hirschfelde, diesem kleinen 1500-Seelen-Dorf direkt an der Neiße und im Schatten des umstrittenen Braunkohle Großkraftwerks und des riesigen Abbaugebietes Turów.
Hier ein Link zu einem Artikel vom 18.07.2023
Die Verbindung zu Polen ist abgeschnitten. Es gibt keinen Grenzübergang und es wird laut Erzählungen nicht gerne gesehen, dass man sich in der Nähe des Tagebau-Geländes aufhält. Ich hatte nämlich nachgefragt und wäre der Sache gerne mal ein wenig auf den Grund gegangen.
Zurück zur Wanderung. Also, Hirschfelde wartet mit einem kleinen Industriepfad auf. Ich habe ihn nicht ganz abgelaufen, aber er kreuzt den Oder-Neiße-Rad und Wanderweg an der ehemaligen Flachsspinnerei.
Hier für Neugierige ein Link zur Wikipediaseite der Spinnerei
Wenn man den Gebäudekomplex hinter sich gelassen hat, beginnt der Neißetalweg. Gut asphaltiert führt er recht nah an der Neiße entlang und gibt immer mal wieder einen schönen Blick auf den Fluß frei.
Was dem Fahrradfahrer sein Glück, ist dem Wanderer seine Langeweile. Es ist einfach nicht so prickelnd, auf asphaltierten Wegen zu wandern. Das heißt nicht, dass ich mich nach Geröll sehne, aber die ein oder andere Wurzel, auf die man zu achten hat, der Geruch des Mooses oder des Laubes, wenn man drüberläuft, diese kleinen Dinge, die das Wandern so abwechslungsreich machen, die fehlten mir halt. Klar, so kann man gut Kilometer machen, aber darum geht es ja nicht jedem und nicht immer.
Wahrscheinlich wäre es für die Wanderung nach Marienthal sinnvoller gewesen, einen Waldweg durch den Klosterwald zu wählen, aber dann wäre ich ja nicht „immer an der Neiße lang“……
Und Zeiten ändern sich. Ich bin kaum Wanderern begegnet. Alle Welt scheint mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Wobei mir ein Fahrrad ja fast schon zu schnell ist, um all das wahrzunehmen, was es am Wegesrand so zu entdecken gibt.
Eindrücke vom Kloster Sankt Marienthal.
Enden sollte die Wanderung in Ostritz. Dort gibt es eine Zug-Haltestelle, Bahnhof kann man das nicht nennen, auf polnischer Seite der Neiße. Ich habe mich durchgefragt und mein Ziel tatsächlich gefunden. Eine halbe Stunde mußte ich auf den Zug warten, der stündlich Görlitz mit Zittau verbindet, und konnte so die surreale Situation dort so richtig auf mich wirken lassen.
Es gibt zwar ein altes Bahnhofsgebäude, das ist aber vollkommen verfallen, bis auf zwei hellgelbe Kachelöfen, die dem Verfall der Zeit trotzen. Sonst gibt es nichts. Na gut, zwei Papierkörbe und zwei mit Sitzgelegenheiten ausgestattete Wartehäuschen. Aber sonst gibt es wirklich nichts. Wenn es nicht so grün gewesen wäre, sondern eher trockenbraun, dann wäre ich mir bei der Mittagshitze, dem leichten Wind, dem Zirpen der Grillen und der sonstigen Stille vorgekommen, wie in einem Wildwestfilm.
Aber der Zug kam pünktlich. Erst der nach Görlitz, dann meiner, nach Zittau.
Ein paar Fundstücke auf dem Weg:
Wunderbar. Gefällt mir sehr gut. Ich würde den Artikel gern im Ganzen haben, ist eine Mail möglich?