Liebst Tüchlein fein, lass Fastenzeit bald sein……
Da ich gerade in der Zittauer Vergangen unterwegs bin, hier ein unbedingtes „MUSS“ für alle, die Zittau besuchen, welches in meinem Fall mit einem so großen „MÖCHTE“ zusammenfällt, dass ich es gleich als allererstes nach meiner Ankunft getan habe:
Das Große Zittauer Fastentuch von 1472
1472 von einem unbekannten Meister geschaffen, zählt es mit 6,80 m Breite und 8,20 m Höhe zu den ältesten und größten überhaupt. Schachbrettartig in zehn Zeilen mit je neun Feldern eingeteilt, zeigt es 90 Motive aus der biblischen Geschichte von der Erschaffung der Welt bis hin zum Jüngsten Gericht. 45 Bilder sind dem Alten Testament und 39 dem Neuen zuzuordnen. Sechs stammen aus den Apokryphen und erzählen Mariengeschichten.
Diese Art Fastentücher werden als „Feldertyp“ bezeichnet. Davon sind weltweit nur 18 Exemplare erhalten geblieben, in Deutschland nur ein einziges, und das ist das Zittauer.
So der Text auf der Homepage der Stadt Zittau. Dort wird allen Neugierigen umfassendes Informationsmaterial bereitgestellt, weswegen ich mich jetzt hier nicht weiter über Herkunft, Entstehung, Bedeutung und das spannende, wechselhafte Schicksal dieses Tuches über die letzten 500 Jahre hinweg auslasse. Auch die Fotografien können und sollen nur als Zeugnis meines Besuchs dienen.
Die wirklich spektakuläre Präsentation dieser wunderbaren Arbeit in einer riesigen Vitrine macht es einem nicht einfach, gute Fotos zu ernten. Aber dafür ist sie ja auch nicht gedacht, sondern zum Schutz des Tuches. Ohne die Abdunklung und die stete Überwachung der Luftfeuchtigkeit könnte es gar nicht dauerhaft ausgestellt werden. Also dann lieber so und für die Fotos gibt es einen Katalog zu kaufen.
Fast zwei Stunden habe ich davor gesessen. Ich weiss nicht, ob dem leider unbekannten Künstler bei der Erschaffung bewußt war, dass er mit seiner Kunstfertigkeit und der Fülle der Bilder die Funktion des Fastentuches im strengen Sinne unterlief, sollte doch Verzicht geübt werden, auch die Augen sollten nicht weiden können.
Herausgekommen ist eine Bildergeschichte, die für das Auge das ist, was für die Insekten eine dieser blumenreichen Wiesen, die im Stadtbild immer häufiger zu finden sind. Stundenlang hätte ich davor sitzen und über Gott und die Welt nachdenken können.
I. Die Technik
Natürlich gehen mir, während meine Augen weiden, viele Fragen durch den Kopf. Zum Beispiel, was es denn mit der Tüchleinmalerei genau auf sich hat. Dem ist dank internet leicht abzuhelfen.
Hier ein Video von der Hochschule für Bildende Künste in Dresden zur Technik der Tüchleinmalerei.
II. Die Umsetzung
Wer auch immer dieses Werk geschaffen hat, man nimmt an ein Mönch aus einem Zittauer Kloster, er hatte eine große Herausforderung zu bewältigen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Nach der Malerei zu schliessen, wurden die Stoffbahnen vor dem Bemalen zusammengenäht, d.h. das große Stück Stoff musste gespannt werden.
Ich weiss nicht, ob man weiss, wie das bewerkstelligt wurde. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich während meiner Zeit im nordspanischen Aguilar de Campoo davon geträumt habe, einen großen Bildteppich direkt in einer romanischen Kirche auf einem Gerüst zu weben, nicht auf einem Webstuhl, auf dem der größte Teil des Teppichs immer aufgerollt und somit außer Sicht ist. Ich dachte, ich könnte die vollständige Kette sichtbar lassen und auf einem Baugerüst weben, dass während der Webarbeit in die Höhe wandert, bis es an der Decke angekommen ist.
Wenn dieser Mönch oder wer auch immer so ähnlich tickte, dann hat er sich vielleicht einen Raum mit den entsprechenden Maßen gesucht und den Stoff direkt über das Gebälk gespannt. Dickere Holzteile hätte er kaum finden können. Also, ich hätte es jedenfalls so gemacht und hätte während der gesamten Zeit die Bilderbibel vor Augen gehabt. Das kleine demütige Künstlerego, das in ihm geschlummert haben mag, muss, wenn auch nur sekundenlang, eine unglaubliche Lust überkommen haben. Hoffentlich hatte er einen guten Beichtvater. Die „Strafe“, wenn es denn eine war, ist die wohl jahrelange Mühsal gewesen, bis zur Ferstigstellung. Und die Demut hat ihn sicherlich spätestens dann wieder eingeholt, als er sein Werkzeug zusammengepackt hat.
III. Textile Bildgeschichten
In der Zeit, in der dieses Fastentuch in der Technik der Tüchleinmalerei entstand, also um die 147oer, wurden im deutschsprachigen Raum ebenso prachtvolle Bildteppiche hergestellt, z. B die Adelphus-Teppiche aus dem Elsass. Auch hier wird in 4 mal 5 Bildern die Geschichte vom Leben Jesu erzählt. Auch wen die Techniken verschieden sind, ist die Idee dahinter die gleiche.
Und wenn ich jetzt an meine eigene Arbeit denke, dann tu auch ich nichts anderes als meine Reise durch den europäischen Kontinent in einer Bildergeschichte festzuhalten. Die Rautenform, die ich aus webtechnischen Gründen gewählt habe, ist dabei nicht allzu weit weg von den Bildfeldern im Fastentuch, was die Funktion betrifft.
Ich bin sehr gespannt, wie es mir ergehen wird, mit der Spannung, den Herausforderungen, dem Erzählen und der Demut.