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Bratislava

III: Die Stadt

Tag 1

An der Hand von Tereza geht es morgens zum Kulturzentrum Nova Cvernovka. Im dortigen Coworkingspace  hat die Organisation, für die Tereza derzeit arbeitet, ein Büro angemietet. Während sie ihre To-Do-Liste für den Tag abarbeitet, mache ich meinen ersten Rundgang auf dem Gelände des Kulturzentrums selbst und in der näheren Umgebung.

Eine ausgediente slowakische Litfaßsäule. Heute Pinkelschutz für einen Stadtbaum.

Blick von der Terrasse des Kulturzentrums auf den Gemeinschaftsgarten. Dahinter das Gelände eines ehemaligen Getreidesilos, für das ein Großbauprojekt eine neue Nutzung vorsieht.
Im Hintergrund der Fernsehturm und die Anfänge der Kleinen Karpaten, meinem Wanderziel am Sonntag.
Ausstellung zum Thema „Menschenrechte“ im Foyer des Kuturzentrums.

Tag 2

Allein unterwegs. Mit einem Spickzettel und meinem neuen Smartphone. Da gibt es kein „Verlaufen“ mehr. Die 72 bringt mich an den Rand der Altstadt. Auf meiner To-Do-Liste stehen einige der touristischen Highlights die Bratislava zu bieten hat und eine kleine Spezialität für all diejenigen, die einen besonderen Faible für die Bildwirkerei haben, aber davon in einem gesonderten Beitrag.

Die Sehenswürdigkeiten kann ich alleine abarbeiten, das muss ich Tereza nicht antun. Sie kommt später dazu, um mit mir gemeinsam ihre Mutter zu besuchen.

 

Die Altstadt

Der erste Wolkenkratzer von Bratislava. Da waren 12 Stockwerke noch etwas Besonderes.
Hochwassermarke im historischen Stadtzentrum an der Ecke Laurinská / Uršulínská. Am 5. Februar 1850 kam es aufgrund eines Eisstoßes zu einem Hochwasser, das weite teile der Stadt unter Wasser setzte.
Erinnerung an eines der fünf Stadttore.

Čumil, der “Gaffer”. Skulptur von Viktor Hulék. 1997

Ein Denkmal unterhalb der Burg erinnert an die  Neologe Synagoge. Sie befand sich am Fischplatz (Rybné námestie), unweit des Martinsdoms. Benannt ist sie nach der neologen Glaubensrichtung innerhalb des Judentums im damaligen Königreich Ungarn.

Gebaut wurde sie 1893. Den Zweiten Weltkrieg überstand sie unbeschädigt und es bestanden Pläne, ein Jüdisches Museum im Gebäude zu errichten. Dies wurde jedoch nicht durchgeführt. Stattdessen wurde das Gebäude in den 1960er Jahren vom Slowakischen Fernsehen als temporäres Fernsehstudio benutzt.

Als man den Bau der Neuen Brücke beschloss, begann der weitgehende Abriss des damaligen Stadtviertels Podhradie (Schlossgrund), um Platz für die Zufahrtsstraßen und die Brücke selbst zu schaffen. Dabei wurde die Synagoge 1969 endgültig abgerissen, obwohl sie nicht auf der Trasse lag. Es gab Vermutungen, dass die Demolierung auch aus antijüdischen Gründen der kommunistischen Regierung erfolgte.

Heute befindet sich ein Holocaust-Denkmal von Peter Zalman und Lucia Zalmanova (1996) an der Stelle der demolierten Neologen Synagoge.

Die Neue Brücke, Most SNP, verbindet  Petržalka, südlich der Donau mit dem Rest der Stadt. Die westliche Grenze des Stadtteiles ist identisch mit der Staatsgrenze zu Österreich. Es ist mit 3.948 Einwohner je km² und insgesamt 113.215 Menschen (die Bevölkerung Bratislava insgesamt liegt bei ca. 476.922) das Gebiet mit der höchsten Bevölkerungsdichte in der Slowakei. Wer einmal ästhetisch, architektonisch und städtebaulich eintauchen möchte in „die Platte“, dem bietet sich hier eine gute Möglichkeit dazu.

Es gibt übrigens einen ambitionierten Plan für die Zukunft. Die breite Zufahrtsstraße, die auf die SNP-Brücke (von den Bratislaver:innen auch UFO-Brücke genannt) führt und durch die die Reste der ehemaligen Stadtmauer auf der einen und der Aufgang zur Burg mit den Resten des ehemaligen Jüdischen Viertels auf der anderen Seite getrennt werden, soll überbrückt werden. Für diesen Teil der Stadt wäre das sicherlich eine enorme Verbesserung. Ob allerdings alle notwendigen „Zutaten“ für ein solch ambitioniertes Projekt zusammenkommen werden, wird die Zukunft zeigen.

Immerhin ist Matúš Vallo, der  2018 als unabhängiger Kandidat mit 36,5 Prozent der Stimmen das Amt des Bürgermeisters bekleidete, nicht nur Politiker, sondern auch Architekt und Stadtaktivist. Somit „vom Fach“. Und er scheint mutig zu sein, und entschlossen.Und er hat interessante Visionen für die Zukunft.

Auch wenn alles vielleicht langsamer voran geht, als viele es sich wünschen. Immerhin geht es voran. Hier ein interessanter Artikel zur Verkehrswende von Bratislava aus dem Jahr 2019, erschienen bei klimareporter.de. Dieses Jahr stehen Neuwahlen an. Eine „Zutat“.

 

Ein Muss: Burg und Donau.

 

Slowakische Hexe Bosorka – allegorische Bronzeskulptur, geschaffen im Jahre 1989 von Tibor Bartfay

 

Zeiten ändern sich. Zeichen wenden sich.
Auf einem der Hügel, weithin sichtbar und mit weitem Blick über die Stadt, befindet sich eine Gedenkstätte, die an die Zeiten erinnert, in denen Russland auch geehrt wurde. Ob aus reiner Dankbarkeit, oder aus Pflichtgefühl, das kann ich nicht beurteilen.  Von Berlin weiss ich, dass die Instandhaltung und der Erhalt des Denkmals im Treptower Park Teil der Vereinbarungen war, die zur Wendezeit den freidlichen Abzug der Russen aus dem Osten Deutschlands ermöglicht haben. Auf meinen Reisen im vergangenen Jahr habe ich aber auch gelernt, dass die Befreiung durch die Russische Armee selten dazu geführt hat, dass man sich im Alltag freundschaftlich begegnete.

Slavín ist der Name eines Kriegsdenkmales und Friedhofes in Bratislava zu Ehren der Sowjetsoldaten, die im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs bei der Eroberung der Stadt Bratislava im April 1945 ihr Leben ließen. Es befindet sich auf einem Berg im westlichen Teil der Bratislavaer Altstadt.

Das von Ján Svetlík entworfene Ehrenmal wurde zwischen 1957 und 1960 auf dem Gelände eines sowjetischen Ehrenfriedhofes erbaut und am 3. April 1960 zum 15. Jahrestag der Befreiung der Stadt der Öffentlichkeit übergeben. 1961 wurde es zu einem nationalen Kulturdenkmal erklärt.

Am Ende der Stadtbesichtigung steht das Denkmal des Slowakischen Nationalaufstandes. Auf Wikipedia gibt es einen langen Eintrag zu dem Thema, falls ihr vertiefen wollt. Hier nur ein kleiner Auszug aus den ersten Absätzen des Artikels:

Slowakischer Nationalaufstand (slowakisch: Slovenské národné povstanie, kurz SNP) ist die Bezeichnung für eine im Zweiten Weltkrieg vom slowakischen Widerstand organisierte militärische Erhebung. Der Aufstand richtete sich einerseits gegen die ab dem 29. August 1944 beginnende Okkupation der Slowakei durch die deutsche Wehrmacht, andererseits gegen das slowakische Kollaborationsregime der Ludaken unter Jozef Tiso. Er war neben dem Warschauer Aufstand einer der größten Aufstände im Hegemoniebereich des Nationalsozialismus.

Nach der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei 1948 erfuhr der Slowakische Nationalaufstand starke Uminterpretationen, in deren Folge der Anteil der Kommunisten und Partisanen am Aufstand von der offiziellen tschechoslowakischen Geschichtsschreibung überbewertet wurde. Der bürgerliche Widerstand und die Bedeutung der Aufstandsarmee, deren Angehörige nach 1948 von der kommunistischen Führung verfolgt wurden, wurde hingegen vernachlässigt. Mit der Wende 1989 setzte in der Slowakei ein Prozess der Neubewertung ein, durch den die Rolle des bürgerlichen Widerstands und der Aufstandsarmee hervorgehoben wurde. Der 29. August ist in der heutigen Slowakei ein Staatsfeiertag.

Denkmal des Slowakischen Nationalaufstandes (Pamätník Slovenského národného povstania), entworfen vom slowakischen Bildhauer Ján Kulich und dem slowakischen Architekten Dušan Kuzma (1974) in Bratislava, Slowakei.

 

Mit einem Rucksack voller Eindrücke, Gedanken und neuem Wissen komme ich nach Hause. Ich werde eine Weile brauchen, um das alles zu sortieren, miteinander zu verbinden. Mosaiksteinchen eben.

Tag 3

Tag drei meiner Stadterkundung ist ein Samstag. Tereza hat frei und eigentlich ist unser Ziel das nahegelegene Devin. Da wir aber eh durch die Altstadt müssen, um an der SNP-Brücke, der mit der abgerissenen Synagoge, den Bus zu nehmen, statten wir der alten Markthalle einen Besuch ab. Denn Samstag ist hier Markttag.

Und nach unserem Ausflug nach Devin reicht die Zeit vor dem Dunkelwerden, um auf der „anderen“ Seite der Donau einen Spaziergang zu machen.

 

Tag 4

Sonntag. Mein letzter Tag. Eine lange Wanderung durch die südwestlichen Ausläufer der Kleinen Karpaten steht auf dem Programm. Aber ich lasse sie rechtzeitig enden, um zum Abschluß meines Bratislava-Besuchs noch einmal ein Stück an der Donau entlang zu laufen. 

Städte die an Flüssen liegen haben schon etwas Besonderes. Wenn die dann auch noch groß sind, und die Donau ist mit ihren 2845 km der längste Fluß Europas, dann finde ich macht das was mit einem. Mit mir jedenfalls.

Ich könnte stundenlang am Ufer sitzen, mir vorstellen ich wäre einer der Millionen und Abermillionen Wassertropfen in diesem Fluß; versuchen zu begreifen, wie sich der Fluß im Fluß jede Sekunde, die ich auf ihn schaue, verändert; zu erkennen, wie absurd es ist, wenn Mensch gerade diese Ansammlung von Nie-Still-Stehendem, Sich-Immer-Mischendem  zur Grenze zwischen dem Einen und dem Anderen macht; zu spüren welche Macht in ihm wohnt; ihm meine Sehnsüchte anvertrauen, damit er sie mitnimmt auf seine Reise.

Auf meiner kleinen Wanderung durch die Auenlandschaft kam ich an einem großen Kiesberg vorbei. Donaukiesel. Ich habe einen mitgenommen als Geschenk für Tereza. Er war so schön weiß, und flach, und rund, ich konnte nicht widerstehen.

Überhaupt: könnte ich noch einen Tag länger hier bleiben, könnte man mich hier absetzen, wie ein kleines Kind im Sandkaste und ich wäre glücklich……

Ich würde spielen, sortieren, nach Farben, Größen, Formen, vielleicht auch nach Geschichten, die die Steine mir erzählen. Und sehr wahrscheinlich würde irgendwann auch ein Labyrinth entstehen…..

So habe ich später, zu Hause, von Tereza erfahren, dass es eine Art Findelstein- oder Wanderstein-Initiative gibt. Sie hat selbst in Tschechien einen Stein gefunden und vielleicht bemalt sie ja meinen/ihren Donaukiesel irgendwann und er geht auf Reisen, wer weiss…..

Natürlich habe ich auch dazu im Internet recherchiert und diesen Artikel gefunden. Es gibt auch eine FB-Gruppe, Kamínky (official).

 

 

 

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