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Bratislava 

II. Der Kampf um die Zukunft

 

Donnerstag. Ein Donnerstag war mein erster Tag in Bratislava. Damals wußte ich es nicht, erst als Tereza mir sagte, dass wir einen fixen Termin haben würde, und sie und Jakub mich aus meiner Ignoranz retteten und mir erklärten, was es mit den Protesten auf sich hat, die schon seit Wochen jeden Donnerstag in mehreren Städten den Landes, und natürlich auch in der Hauptstadt Bratislava, stattfinden und von immer mehr Menschen unterstützt werden.

Jetzt weiß ich, dass sich gestern Abend wieder Tausende von Menschen getroffen haben, um gegen die vorgeschlagene Reform der aktuellen Regierung zu protestieren. An einem Ort mit Geschichte.

In den vergangenen Tagen habe ich nach Information gesucht, weil ich dachte, wie groß kann meine Ignoranz denn sein, dass ich so gar nichts mitbekommen habe. Aber auch mit dem neu geweckten Interesse war es nicht so, dass ich eine Flutwelle bewältigen musste, die über diese Proteste schreibt.

Ich habe hier mal ein Video aus der ARDMediathek vom 4.02.2023  verlinkt, das etwas dazu berichtet, von genau dem Donnerstag, an dem auch ich dort gestanden habe. Und einen kurzen Bericht zu den gestrigen Protesten. Viel mehr habe ich dazu in den leicht zugänglichen Medien nicht gefunden, vielleicht, wenn man gräbt…. Aber wer gräbt schon in der Medienlandschaft, zupft Unkraut…..

Denn Europa ist groß, so groß, dass man seine Augen und Ohren nicht überall haben kann. Und diese vielen Wirklichkeiten und daraus sprießenden Wahrheiten machen das Geflecht so unübersichtlich. Die Flucht in die selektive Wahrnehmung und die Fokussierung auf einen überschaubaren geographischen Raum oder auf ein Thema ist dann schon fast eine Überlebensstrategie. Wohl wissend, dass man dabei immer mehr aus dem Blickfeld verliert, als man in ihm findet, und dass man vielem den Rücken zukehrt.

Es ist nicht an mir, das zu bewerten, denn manchmal entstehen gerade im Schatten der Aufmerksamkeit interessante Dinge die nur so eine Chance bekommen, ausreichend groß und stark  zu werden, um dann die Hitze des Brennpunktes aushalten zu können. Aber aus der Geschichte heraus wissen wir auch, dass es ganz anders sein kann, und dass die Schattengewächse nicht immer wohlgesonnen und für das Gemeinwesen zuträglich sind.

Was mich neben allem sehr beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass am Ende des Protestes am vergangenen Donnerstag die Nationalhymne gesungen wurde. Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Erst mal nur sehen, hören und fühlen. Aber ich muss zugeben, es war ein Gänsehautmoment, so schwer ich mich sonst auch tue mit Hymnen und Flaggen. Ich habe es das erste mal erlebt, war vollkommen überrascht und vielleicht ein wenig „neidisch“. In meiner Vorstellung war es bisher undenkbar. Nationalhymne und Protest passen da gar nicht zusammen, weder in Deutschland noch in Spanien, den Ländern, in denen ich länger gelebt und Erfahrungen gesammelt habe.

Aber in diesem Kontext kam es ganz organisch. Und es herrschte unter den Protestierenden ein Selbstverständnis, dass die Hymne „ihnen gehört“, dem Volk, das sich hier auf der Straße versammelt, um für die Zukunft seines Landes zu kämpfen. Friedlich aber entschlossen.

Jetzt, wo ich mit dabei war, wo Bratislava für mich kein weißer Fleck mehr ist, ich in meinem Rucksack erste Mosaiksteinchen mit nach Berlin gebracht habe, werde ich meine Aufmerksamkeit immer al wieder in diese Richtung lenken und in Gedanken bei Tereza und Jakub und ihren Freunden, Verwandten und Bekannten sein, die alle voller Hoffnung um eine gute Zukunft für ihr Land kämpfen.

 

Ausstellung zum Thema Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen im Eingangsbereich des Kulturzentrums Nova Cvernovka

Ján Kuciak  war ein slowakischer Journalist, der mit seiner Verlobten Martina Kušnírová im Februar 2018 ermordet wurde. Sein Tod löste die Aufdeckung einer Reihe von Verbindungen slowakischer Politiker zu kriminellen Geschäftsmännern und der organisierten Kriminalität aus. Darauf folgende landesweite Proteste führten zu einer politisch-gesellschaftlichen Krise sowie zum Rücktritt des Ministerpräsidenten, des Innenministers und des Polizeichefs.

Genau DES Ministerpräsidenten, Robert Fico, der JETZT, seit den Wahlen im vergangenen Herbst, wieder an der Spitze der slowakischen Regierung steht und gegen den sich die aktuellen Proteste richten.

 

 

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