zittau _ 1234 _ erste eindrücke

Zittau _ Tag I

Wie immer an einem neuen Standort mach ich erst einmal die obligatorische  Runde um das KUKUmobil, um abzuschätzen, wie es sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln einfügt in den neuen Kontext und wie es auf die Menschen wirken mag, die es als neues Objekt in ihrer wohlbekannten Alltagslandschaft wahrnehmen werden.

Bisher bin ich sehr zufrieden und habe den Eindruck, dass das KUKUmobil die Gabe hat, sich überall gut einzufügen. Es ist präsent, ohne aufdringlich zu sein, es ist in seiner Schlichtheit ein verträgliches „Versatzstück“ für viele unterschiedliche Kulissen, ist leise aber nicht stumm, zurückhaltend, aber nicht schüchtern. Ich mag das.

Erster Gang: Zum Rathaus, gleich nebenan. Kulturreferat und Marktleitung sind zwei wichtige Anlaufstellen für die Zeit, die ich in Zittau verbringen werde. Mein Dank an alle Beteiligten für die so spontan  und unkompliziert entstandene Möglichkeit, mitten im Herzen von Zittau zu stehen.

Auf meinem ersten Rundgang bin ich wieder einmal auf eine meiner vielen Wissens-Lücken hingewiesen worden. Verteilt über die Stadt stehen Infotafeln zu der „Friedlichen Revolution“, der Zeit kurz vor und kurz nach dem Fall der Mauer.

Ich habe nicht alle Tafeln fotografiert, das würde den Rahmen sprengen und lesen tut sie hier in dieser Auflösung eh keiner. Aber ich habe mal im Internet gesucht. Auf der Seite der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung habe ich folgenden Text und Video gefunden:

Die Friedliche Revolution in Sachsen 1989/90 hat das Leben der Menschen grundlegend verändert. Durch Demonstrationen großer Teile der Bevölkerung entstanden neue politische Kräfte, wie die Gruppe der 20 in Dresden. Ab Oktober 1989 verlor die SED-Staatspartei der DDR an Einfluss und Macht. Der Film erzählt von diesem Geschehen in ausgewählten sächsischen Orten und Regionen: Dresden, Plauen, Leipzig und Delitzsch sowie Großhennersdorf und Zittau in der Oberlausitz, Bad Schlema und Aue im Erzgebirge.

Nicht das ursprüngliche Ziel, aber doch das Ergebnis der Friedlichen Revolution in der DDR war die deutsche Wiedervereinigung.

Ein Film von Thomas Eichberg, herausgegeben von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Dresden 2016

Link zum Film

Um so erstaunlicher ist für mich der Ausklang des Tages gewesen, mit der Montagsdemonstration auf dem Marktplatz. Es war meine erste Montagsdemo. Es ist ja nicht so, als wenn es die in Berlin nicht geben würde, aber da kann man ihnen leichter aus dem Weg gehen, die Peinlichkeit, die einen befallen könnte hält sich durch die Mengenverhältnisse derer, die dort sind und derer die sich eben nicht daran beteiligen, in erträglichen Grenzen;  und die Wahrscheinlichkeit, dass man mit jemandem, von dem man weiß, dass er oder sie  montags demonstriert am Dienstag den Arbeitsplatz teilt, ist sehr gering. Das macht die ganze Angelegenheit noch um einiges komplexer.

Schon vor meiner Ankunft in Zittau war ich auf diese Veranstaltung hingewiesen worden, teils entschuldigend, teils erklärend… Ich habe versucht, mir ein Bild zu machen von dem, was die Menschen zusammenbringt, was die kleinste _ oder größte_ gemeinsame Schnittmenge ist. Nach meiner Erfahrung bei der Julian-Assange-Geburtstagsfeier in Berlin, bei der in den Redebeiträgen auch Themen unterschiedlichster Art angesprochen und offensichtlich mit einer großen Selbstverständlichkeit von einer breiten Zustimmung ausgegangen wurde, bin ich sehr sensibel für das Thema „Schnittmengen“.

Ich habe nun wirklich keine Art von Berührungsangst und denke, es ist wichtig immer im Gespräch zu bleiben, aber angesichts des Sammelsuriums an Erkennungszeichen …. von der Friedenstaube, über die Schwerter, die zu Pflugscharen werden bis hin zur Wirmer-Flagge … (1999 wurde die Flagge von Reinhold Oberlercher, dem Vordenker des neonazistischenDeutschen Kollegs, in seinem Überarbeiteten Verfassungsentwurf vom 9. November 1999 zur Flagge des vom Deutschen Kolleg angestrebten Vierten Reichs erklärt und war fortan die Flagge des Deutschen Kollegs. Zum deutschen Kolleg gehört auch Horst Mahler, der am 14. Dezember 2003 die Verkündigung der Reichsbürgerbewegung veröffentlichte. Dadurch wurde die Fahne im damals medial und gesellschaftlich wenig beachteten Reichsbürgermilieu populär und somit verstärkt von rechtsextremen und -populistischen Gruppierungen verwendet, was auf Kritik von verschiedenen Seiten stieß. Wegen ihrer hohen Präsenz auf den Dresdner Pegida-Demonstrationen wurde die Flagge in einigen Medienberichten auch als „Pegida-Fahne“ bezeichnet.) …. und der Rednerbeiträge, die ebenfalls und auf sehr simple und absurde Art ein buntes Potpourri an Themen bedienten, ist es mir nicht gelungen, nachzuvollziehen, worum es diesen Menschen tatsächlich geht und was sie als Gruppe zusammenhält.

         

Ein ganz seltsames Gefühl überkam mich, als ein kleiner „Posaunenchor“ das Lied „Die Gedanken sind frei“ anstimmte und die Versammelten es aufgriffen und sangen. Schon richtig, es ist ein Volkslied und gehört somit niemandem und allen, aber mir ist es bis zu diesem Montag immer in sehr anderen Kontexten begegnet. Es hier zu hören ist mir, das gebe ich zu, sehr aufgestoßen und ich habe mich für einen Moment beraubt gefühlt, so wie ich mich beraubt gefühlt habe, als der Begriff „Querdenkerei“, den ich immer als gesund in einen Verständnis von Abweichung vom „Mainstream“ eingeordnet hatte, diese negative Wertung bekam.

Komplizierte Zeiten, wenn man genau hinsehen und nicht verallgemeinern möchte. Aber Prinzipien sind nun einmal dafür da, dass man in solch verworrenen Momenten weiss, wo man steht. Und wenn man mit der Friedentaube neben einer Wirmer-Flagge steht, dann finde ich das einfach sehr schwer nachzuvollziehen und ich bekomme diese zwei Momente, den vergangenen und den jetzigen, nur schwer zusammen.

Ich werd weiter schauen und hören und fragen und versuchen, davon zu berichten. Dass dieser etwas zwiespältige Beitrag am Beginn meiner Zittau-Chronik steht ist auch allein der Tatsache geschuldet, dass ich versuche, der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse gerecht zu werden. Es ist eine Minderheit, die sich da montags versammelt, und die ist hat sehr laut, aber ich denke nicht, dass sie die Meinung der Mehrheit der Zittauer darstellt. Aber da ist sie, nicht nur hier in Zittau, sondern auch an anderen Orten. Und so gerne ich das vielleicht auch tun würde, man kann sie nicht einfach so wegwischen. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob meine Dialogbereitschaft auf Gegenseitigkeit beruht.

 

 

 

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