berlin _ 1010 _ gedanken

Mit der Hand auf dem Asphalt

Zum wiederholten Male treffe ich auf dem Weg zur KUKUmobil-Baustelle an der Frankfurter Allee auf folgende Szene:

 

Eine kleine Gruppe junger Menschen hat sich in einer Kette auf dem Asphalt festgeklebt und dadurch den Verkehr Richtung Stadtmitte lahmgelegt. Klimaaktivisten. Langer Stau auf der Frankfurter Allee, verhaltenes Hupen aus den hinteren Gefilden,  viel Polizei, darum bemüht, Ruhe zu wahren, ungeduldige Autofahrende und aufgebrachte Fußgänger:innen zu beschwichtigen, unangemessene, laut und aggressiv werdende „Redebeiträge“ zu unterbinden, wenn sie ein unangemessenes Maß annehmen, Hände mit welchem Lösungsmittel auch immer von Asphalt zu lösen, Menschen auf den Bürgersteig zu tragen oder zu begleiten… das alles in einem vielleicht könnte man sagen „zivilisierten“, oder fast „aseptischen“ Umgang miteinander.

Ich bin dankbar, dass solche Szenen in unserer Gesellschaft möglich sind. Wenn ich mich umschaue und sehe, wie mit Protesten an anderen Orten der Welt umgegangen wird, dann kann es nur Dankbarkeit sein und die Verpflichtung, das Recht, auf dem sie gründet zu wahren, zu verteidigen, zu nutzen und dafür einzustehen, dass dieses Recht allen Menschen auf der Welt zusteht.

 

Im Pulk der Schaulustigen kommen Gespräche auf, manche besonnen unterschiedliche Standpunkte diskutierend, manche um der Wut, dem Unverständnis und der Missbilligung Luft zu machen, manche mit dem klaren Tenor: das ist nicht der richtige Weg….

Aber was ist schon der richtige Weg? Wie oft bin ich in Demos mitgelaufen, hier in Deutschland, in Frankreich, in Spanien….. an einem Sonntag, durch das Regierungsviertel oder die Innenstadt, wenn also niemand dort ist und die Störung sich im vertretbaren Rahmen hält… und habe mich „seltsam“ gefühlt. Wie oft habe ich bei den Streiks um bessere Arbeitsbedingungen gehört: warum zur Stoßzeit? Warum zum Ferienbeginn?… Ja, wann denn sonst, wenn nicht dann, wenn es wirklich stört? Wie oft wurde argumentiert, es wäre ein Unding, dass die „Fridays for Future“  – Demos an einem Schultag stattfinden…. das können sie doch an einem Samstag machen.

Wie groß ist unsere Bereitschaft, unser Verständnis von gesamtgesellschaftlicher Verantwortung  und unsere Solidarität, um Unbequemlichkeiten auszuhalten, die unsere individuellen Pläne punktuell stören, und damit andere Gruppen dieser Gesellschaft in ihrem Kampf zu unterstützen, den sie auch für uns kämpfen, eben als Teil der gesamten Gesellschaft.

Ich finde es unglaublich mutig und kann nur DANKE sagen, für die Bereitschaft sich solchen Situationen und den Konsequenzen auszusetzen.

Ich weiss ehrlich gesagt nicht, ob und wann ich an meine Grenze des Verständnisses komme. Es hat kurz in mir gezuckt, als es um die Aktionen in Museen ging, das Kleben an und bewerfen mit…… Ein kurzes Zucken, dann denke ich an Verhältnismäßigkeiten….. und die Ernsthaftigkeit der Krise, von der, so habe ich das Gefühl, wir nicht wirklich erfassen, wie sehr sie die Zukunft für den Menschen auf diesem Planet ändern wird…… und zwar auch dann, wenn wir optimistisch davon ausgehen, dass es überhaupt noch eine Zukunft für den Menschen auf diesem Planet geben wird.

Sind dann alle Mittel recht? Ich weiss es nicht. Aber ich denke, angesichts der Unannehmlichkeiten, die die Klimakrise jetzt schon absehbar mit sich bringen wird, sind die Unannehmlichkeiten, für die die Klimaaktivisten gerade sorgen, ein Klacks.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/erneut-protestaktionen-in-berlin-klimaaktivisten-blockieren-wieder-strassen-8841844.html

„„Wir werden unseren Protest in alle Bereiche tragen, die von der Klimakatastrophe betroffen sein werden“, sagte die Aktivistin Carla Rochel am Sonntag bei „Stern TV“. „Wir haben die Regierung zum Gespräch eingeladen – davon hängt ab, ob wir weiter auf die Straße gehen werden oder nicht.“ Es sei kein Beliebtheitswettbewerb. „Es geht uns nicht darum, gemocht zu werden. Sondern darum, dass der Gesellschaft bewusst wird, dass wir in eine Klimakatastrophe rasen“, sagte Rochel.“

 

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1 Antwort zu berlin _ 1010 _ gedanken

  1. Berthild Lorenz sagt:

    Was für ein vortrefflich formulierter Text, danke!
    Genau das war in den Jahren nach dem Mauerfall sehr oft mein Problem – wen erschüttern eigentlich diese Demos; weshalb latsche ich hier mit? Stört doch keinen, der nicht direkt betroffen ist, sonst wäre er, wäre sie, doch dabei.
    Die Menschen, die Du jetzt getroffen hast, die bewegen durch ihr Tun viele Hirnwindungen, weil durch ihr Tun viele Menschen zu direkt Betroffenen werden, dazu noch Gespräche vor Ort, in denen FÜR und WIDER Denkende einander zuhören.
    Danke für diesen Text, liebe Andrea!
    Den teile ich doch sofort!

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