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Pastrana ist ein kleines knapp 900 Einwohner zählendes Dorf in der spanischen Provinz Guadalahara, ca. eineinhalb Autostunden von Madrid entfernt. Eigentlich wird es dadurch nicht unbedingt zu einem „Muss“ besuchenswerter Orte wenn man sich für eine Woche in Madrid aufhält, es sei denn….

Tja, es sei denn man hätte einen Faible für historische Bildwirkereien. Denn dann sieht die Welt ganz anders aus und Pastrana rutscht im Handumdrehn im Ranking auf einen der ersten zehn Plätze der Besucherliste.

Nun, den Faibel habe ich, bekanntermaßen. Und gute Freunde noch dazu, die diese Reise mit mir getan haben. Und so bin ich nach Pastrana gekommen und konnte mit eigenen Augen eine der beeindruckendsten Bildteppichserien sehen, die ich kenne.

Die Pastrana-Bildwirkereien wurden einst vom portugiesischen König Afonso V in Auftrag gegeben, um die Ereignisse an den Kriegsschauplätzen Arzila und Tanger, an denen Portugal Ende des 15. Jahrhunderts in Nordafrika erfolgreich beteiligt war, zu dokumentieren. Gewebte Kriegsberichterstattung. Durchaus üblich, wenn man es sich leisten konnte.

Kriege, besser gesagt Siege waren ein beliebtes Motiv. Die dazugehörige Verherrlichung der Kriegstreiber eingeschlossen. Wenn Pippi Langstrumpf singt: „Ich mach mir die Welt, widdewiddewie sie mir gefällt“, dann ist das okay, denn sie ist ein Sympathieträger und steht nicht im Verdacht, sich anderer Leute Hab und Gut, Land und Kultur anzueignen. Bei den Königen der damaligen Zeit, wir reden hier konkret über das Jahr 1471, hat uns die Geschichte gelehrt, dass das anders war. Und Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Die Verlierer kommen selten zu Wort.

Damals gab es keine bildhafte Kriegsberichterstattung. Andererseits war nur ein kleiner Teil der Menschen des Lesens mächtig. Wollte man also von sich Reden machen, ging das nur über Erzählungen und über Bilder.

Was diese aus vier Wandteppichen bestehende Serie so besonders macht, ist nicht nur die Größe (jeweils 11 m x 4 m, also insgesamt 44 m Kriegsbericht), oder das Material (feinster Wolle und Seide) und die hervorragende technische Qualität, die angesichts der beauftragten Werkstatt nicht verwundert (Weberei Passchier Grenier, in der Stadt Tournai in Flandern, im heutigen Belgien).

Was sie wirklich einmalig macht ist die Zeitnähe ihrer Fertigstellung zu den Geschehnissen, über die sie berichten. Es ist nicht bekannt, ob es eine Bildvorlage gab und wenn, wer ihr Autor war. Auch ist nicht bekannt, wer die Webvorlage hergestellt hat.

Die Unmittelbarkeit ihrer Herstellung hinsichtlich der Ereignisse könnte fast die Vermutung nahelegen, dass sie direkt vom Text in die gewebte Textur gewandert sind. Sicherlich gab es Schriftstücke, Chroniken, die Zeugnis ablegten von dem, was Alfonso V in Nordafrika erreicht hatte.

Wer auch immer es gewesen sein mochte, der dafür verantwortlich zeichnet: Begnadet war er; ebenso wie die vielen fleißigen Hände, die die insgesamt 176 Quadratmeter in nur 4 Jahren gewebt haben. Eine wahre Meisterleistung.

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Situation bekommen solche Werke eine ganz besondere Bedeutung. Noch vor einem halben Jahr hätte ich mich auf die Schönheit des Gewebes und der Komposition konzentriert, wohl auch auf die Qualität der Restauration.

Heute stehe ich davor, schau mir die Erzählung eines Eroberungskrieges an. Und wieder wird deutlich, wie Geschichte sich wiederholt. Nein, wir hatten gesagt, wie MENSCH sich wiederholt.

 

https://youtu.be/T-uBr91HsJE

 

Links zum Text:

Blogeinträge hier, Juni 2010:

http://www.andreamilde.eu/2010/06/12/textiles-nomadas-1-herunmziehende-textilien/
http://www.andreamilde.eu/2010/06/12/textiles-nomadas-primera-etapabruselas-herumziehende-textilien-erster-halt-brussel-2/

Website Museo de Tapices de Pastrana

Wikipediabeitrag zu den Bildwirkereien auf Spanisch (auch auf Englisch)

Blogeintrag „Planet Portugal“ 2011, anläßlich der Wanderausstellung der Bildwirkereien in USA (auf Deutsch)

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